|
"Vieles neu macht der Mai" (29.05.22–11.03.23)
Nach einer längeren Pause wurde die mgf-Granfondo-Liste mal wieder gründlich aktualisiert – mehr war aufgrund einer weiter gestiegenen Arbeitsbelastung und erheblich gesunkenen Motivation leider nicht drin. Im Rahmen der Recherche fiel die eine oder andere Veränderung auf, die manche Veranstalter vorgenommen haben. Ein Teil der Neuigkeiten wird hier kurz vorgestellt.
Neu in die Liste aufgenommen wurden sieben Granfondos, die meisten davon wurden bereits im Rahmen der Granfondo-Alben vorgestellt: Granfondo Bra Bra Specialized, Ganten la MontBlanc Granfondo, Granfondo Nibali, Granfondo Squali Trek, Granfondo Scott Piacenza, Granfondo Garda Bottecchia und Tour des Stations (CH).
Die letztgenannte Tour des Stations im Schweizer Kanton Wallis findet heuer zum fünftem Mal statt. Die Papierwerte der Granfondo-Strecke sind mit der Maratona dles Dolomites vergleichbar. Daneben gibt es noch einen "Ultrafondo", bei dem an einem Tag die Höhenmeter des Mount Everest gesammelt werden (242 km, 8.848 Hm, mgf-Härtegrad 14,9 und Bergfaktor 7,3). Alle Strecken verlaufen über eher kleine Straßen und Berge, die den meisten wohl unbekannt sein dürften – den von der Tour de Suisse bekannten Anstieg nach Crans-Montana (nur Ultrafondo) ausgenommen. Der Ultrafondo liegt im Rennen um den Titel "schwierigster Granfondo Europas" gut im Rennen – denn anders als bei Tour du Mont Blanc und Alpenbrevet gibt es hier kaum lange, gleichmäßige Anstiege, dagegen viel mehr kleine Wellen und Rampen, an denen man überziehen kann.
Nach aktueller Prognose dürfte sich die Zahl der Veranstaltungen in Italien heuer ungefähr auf dem Niveau von 2021 bewegen. Von den 43 im Saison-Rückblick 2021 betrachteten italienischen Granfondos sollen 2022 genauso viele stattfinden wie 2021 – derzeit exakt 33. Und nach dem Entfall der meisten Covid-Restriktionen darf man davon ausgehen, dass die Teilnehmerzahlen dadurch wieder zunehmen, so dass ingesamt eine leichte Erholung zu erwarten ist.
Weniger ist mehr?
In den jüngsten Jahren ist ein merkwürdiger Trend feststellbar: Bei den Granfondos in Italien haben sich die Streckenlängen eher reduziert als erhöht. Möglicherweise rechnen die Veranstalter mit höheren Teilnehmer-zahlen, wenn sie statt eines epischen Monster-Ritts nur eine moderate, überschaubare Belastung fordern...
Beim Gran Fondo Gavia e Mortirolo z.B. mutierte die bisherige Mittelstrecke zur Langstrecke, die finale Schleife über den Passo Santa Cristina (die vom Giro d'Italia z.B. 2022 und 1994 befahren wurde) entfiel ersatzlos. Die neue Mittelstrecke lässt den Mortirolo aus und führt stattdessen über den etwas moderateren Anstieg von Tirano auf den Válico di Trivigno (mit auf den steilsten 3,5 km "nur" 11,7% Steigung) zurück nach Aprica. Auch bei der Kurzstrecke entfiel der Passo Santa Cristina, sie hat dadurch nur noch 61 km. Dass Damiano Cunego nach nur einem Jahr aus dem Titel des Granfondos gestrichen wurde, hat sicher nichts mit den reduzierten Anforderungen zu tun.
Radsportnews.com hat die Streckenänderung offenbar nicht mitgekriegt – was nicht der einzige Fehler in dem Artikel ist: Charly Gaul fuhr nie über den Mortirolo (der versteckte Pass wurde erst 1990 für den Giro entdeckt). Die Premiere hieß nicht "Granfondo Internazionale dell’ Aprica", sondern "Granfondo Marco Pantani". 2015 hieß die Veranstaltung "La Campionissimo", nicht wie RSN behauptet "Granfondo Gavia e Mortirolo" – dieser Name kam erst 2017. "Absagen in den vergangenen Jahren" gab es auch nicht, der Granfondo fiel nur 2020 aus. Aber von einer Website, deren Hauptgeschäftsfeld der Profisport ist und die ihren Auftritt immer mehr kommerzialisiert, darf man im Hobby- und Amateur-Bereich nicht zuviel erwarten – und fünf Namenswechsel in 17 Jahren sind schon leicht verwirrend.
Der Top Dolomites Granfondo verkürzte zwar die Strecke, jedoch nicht den Anspruch. Der Start wurde lediglich nach Pinzolo verlegt. Dadurch entfällt nur die Abfahrt gleich zu Beginn, die Höhenmeter bergauf und die Bergankunft in Madonna di Campiglio bleiben gleich. Und das Höhenprofil sieht jetzt nicht mehr so merkwürdig wannenförmig aus. Der Termin wurde von Ende August auf Mitte Juni vorgezogen. Ob der Juni-Termin, mit der höchsten Berg-Granfondo-Dichte, sich positiv auf die Entwicklung dieser noch recht jungen Veranstaltung auswirkt, darf bezweifelt werden.
Verkürzt wurden auch, teils schon im letzten Jahr, die Strecken von Nova Eroica, Granfondo Via del Sale, Granfondo Straducale, Granfondo Squali Trek, Granfondo del Gallo Nero und Gran Fondo Tre Valli Varesine, Details bitte den verlinkten Websites entnehmen.
Neue Strecken, Konzepte und Termine
Kräftig zugelegt hat dagegen die Strecke der Carnia Classic. Bisher war die längste Strecke ("Granfondo") nicht die anspruchsvollste. Jetzt wurde die Granfondo-Strecke neu festgelegt und um 13 km verlängert. Die Variante "Extreme Zoncolan" hängt daran noch 20 km mit der Berg-Ankunft am extrem steilen Monte Zoncolan an, der mgf-Härtegrad (der die Schwierigkeit vereinfacht abbildet) erhöhte sich um 2,5 Zähler. Die neuen Streckenvarianten wirken erheblich logischer, auch wenn das Rein-Raus in verschiedene Täler auf der Karte etwas verwirrend aussieht.
Auch die französische Cyclosportive "Risoul Queiras" hat 2022 die Strecke geändert – und zudem den Namen. Die "Risoul Izoard - DTswiss" bietet nur noch zwei statt drei Streckenvarianten an. Auch hier endet nur noch die Langstrecke mit einer Bergankunft (1.850 m), Ziel der Kurzstrecke ist jetzt bereits in Risoul (1.080 m). Beide Strecken führen über den mythischen Col d’Izoard, aber die Streckenwahl muss bereits vorher getroffen werden, bei km 17,5 – also praktisch schon beim Start.
Der Engadiner Radmarathon bietet ebenfalls "neue" Strecken an – und ein neues Konzept: Die gewohnte Langstrecke gibt es nicht mehr, statt dessen wird die bisherige Kurzstrecke am Samstag gefahren und die bisherige zweite Schleife der Langstrecke am Sonntag. Damit wird die Veranstaltung möglicherweise zum Etappenrennen (ob es eine Gesamtwertung aus beiden Tagen – eventuell inklusive des Prolog-Bergzeitfahrens am Freitag – geben wird, ist noch unklar).
Auch beim Alpenbrevet gab es eine Streckenänderung – wenn auch nur bei einer Variante. Die "Goldtour" führt nun über Furka-, Nufenen-, Lukmanier- und Oberalppass und hat dadurch leider etwas Attraktivität eingebüßt. Die bisherige Strecke (Susten, Grimsel, Nufenen und Gotthard) war zudem anspruchsvoller, trotz ähnlicher Papierwerte. Grund für die Änderung war sicherlich der geringere Aufwand beim Start, jetzt müssen nur noch die Langstrecken-Starter auf dem neutralisierten Abschnitt Andermatt-Wassen begleitet werden. Die "Platintour" (Susten, Grimsel, Nufenen, Lukmanier und Oberalp), "Silbertour" (Furka, Nufenen und Gotthard) sowie "Bronzetour" (Nufenen und Gotthard) bleiben unverändert, ebenso wie das Ziel in Andermatt und der Transfer bei der Kurzstrecke (zum Startort Ulrichen oder vom Zielort zurück). Für "Platin" bringt die Änderung bei "Gold" den Nachteil mit sich, dass es nun keine Abkürzung mehr gibt: entweder man schafft die 268 km und 7.090 Hm oder man ist aus der Wertung. "Gold"-Starter können dagegen jetzt bei Bedarf auf "Silber" verkürzen (was früher nicht möglich war). [Nachtrag 12.06.22]
Eine geänderte Strecke soll es 2023 laut der Zeitschrift TOUR auch beim Urvater aller Granfondos geben: Für die nächste Ausgabe kündigten die Veranstalter der Nove Colli als "Überraschung" ein Finale mit einem neuen Anstieg an. Das wäre die erste echte Streckenänderung seit 1995, damals änderte sich ebenfalls der letzte Anstieg. Seither gab es nur diverse Änderungen an den flachen Abschnitten zu Beginn und am Ende. 2023 wollen die Nove Colli das Teilnehmerlimit zudem vierstellig halten. Das wäre eine Abkehr vom bisher fast überall praktizierten "schneller, höher, weiter" und ist an sich eine gute Nachricht – für die Teilnehmer, die einen Startplatz ergattern. Wenn die Kapazitätsgrenze überschritten wird und eine Veranstaltung am eigenen Erfolg erstickt, hat niemand etwas davon. Die Maratona dles Dolomites hatte schon für 2022 das Teilnehmer-Limit reduziert, auf jetzt 8.000. [Nachtrag 12.06.22]
Beim Ötztaler Radmarathon, den viele als "inoffizielle Radmarathon-Weltmeisterschaft" ansehen, ändert sich die Strecke kaum (nur etwas andere Route in Sterzing), dafür jedoch der Termin: Ab 2023 nicht mehr am letzten August-Sonntag, sondern bereits am zweiten Sonntag im Juli. Dadurch werden nicht nur Hobbysportler ihre Trainingspläne ändern müssen, auch mancher Veranstalter kommt in Zugzwang: Der Kitzbüheler Radmarathon, dessen wegen Corona verschobene Premiere am zweiten Juli-Wochenende 2021 stattfand, wechselt ab 2023 auf den alten Ötztaler-Termin. Ein Vorteil des neuen Ötztaler-Termins ist, dass Hobbysportlern mehr Zeit auf der Strecke haben, weil der Tunnel am Timmelsjoch später dicht gemacht wird. Und das beim angestammten Termin oft unbeständige Wetter wird im Juli hoffentlich auch tendenziell eher besser sein...
Der in der Schweiz beheimatete Zeitnahme-Dienstleister Datasport hat in den letzten Jahren seinen Marktanteil ausgebaut und ist ab heuer auch beim anspruchsvollsten italienischen Granfondo aktiv: beim Sportful Dolomiti Race. Interessant ist, dass Datasport hier erstmals einen Chip im "WinningTime Design" verwendet, der wie eine Rad-Startnummer der Profis aussieht. Fragwürdig ist allerdings, dass es sich um einen Einweg-Chip handelt (das scheint ebenfalls ein neuer Trend zu sein). Man darf gespannt sein, ob auch die Maratona dles Dolomites – ältester Datasport-Kunde in Italien und schon seit vielen Jahren um Nachhaltigkeit bemüht – zu diesem System wechseln wird...
Der heute zu Ende gegangene Giro d'Italia wandelte zwar nicht auf den Spuren eines Granfondos, präsentierte dafür aber wie (fast) immer mit landschaftlich interessanten, abwechslungsreichen Etappen Bella Italia in bestem Licht – sowie zusätzlich Hollywood-taugliche Stunts und Bollywood-taugliche Schauspielkunst. Verglichen mit der Tour de France war auch dieser Giro wieder mal äußerst spannend, was vermutlich dem Umstand zu verdanken ist, dass der Giro für viele WorldTour-Teams nicht ganz so wichtig ist und dadurch mehr probiert und riskiert wird.
Leider hat der TV-Sender "Eurotennissport 1" die Übertragung in der dritten Woche praktisch eingestellt (und zudem schon vor Jahren dafür gesorgt, dass der Giro über RAI außerhalb Italiens nicht mehr frei empfangbar ist). Als einzig positiver Effekt wurde die Arbeit an diesem Beitrag durch etwas mehr freie Zeit begünstigt...
Nach sieben Jahren Pause gab es heuer immerhin wieder ein richtiges Giro-Sonderheft in deutsch, mit 80 Seiten voll Berichten, Porträts, Bildern, Prognosen und Streckenprofilen zur schönsten Rundfahrt der Welt, herausgegeben vom Magazin Pro Cycling. Auch diese Zeitschrift hat 2022 ihr Konzept geändert: Statt monatlich erscheint das Magazin nur noch viermal jährlich, je eins der vier Hefte dreht sich um Giro d'Italia und Tour de France. Das englische Mutter-Magazin stellte dagegen seinen Betrieb ein – schön, dass die deutsche Tochter noch weitermacht!
Normalerweise markiert der Giro für den Betreiber dieser Website den Beginn der aktiven Radsport- und Granfondo-Saison, meist verbunden mit einem Trainingslager in Bella Italia. Aber heuer ist leider alles anders, Form und Motivation befinden sich auf dem Tiefpunkt, als Folge eines "Arbeitsunfalls". Selbst drei Monate danach ist der Normalzustand noch nicht wieder erreicht, ein Training nur sehr beschränkt möglich, die Saisonplanung 2022 dadurch längst Makulatur. Covid-19 ist definitiv keine "normale Grippe".
Passt auf Euch auf und bleibt gesund!
|
|
Auf der 16. ("Vizekönigs"-) Etappe Salò-Aprica befuhr der Giro d'Italia zwischen Passo del Mortirolo (von der "einfachen" Seite) und Passo Santa Cristina auch den unscheinbaren Anstieg nach Teglio, der mit ein paar fiesen Rampen aufwartet und auch Teil des Granfondo Stelvio Santini ist. Bei diesem Granfondo bleibt 2022 alles beim Alten, bei manch anderer Veranstaltung gibt es Veränderungen. [Foto: Sjaak Kempe, CC-Lizenz 2.0]
Nachtrag 11.03.23: Beim Granfondo Stelvio Santini gab es 2022 doch eine Änderung: Der "Passo Mortirolo" wird nun erstmals wirklich überquert. Bisher war der höchste Punkt auf 1727 m, wo die Auffahrt von Tovo auf die klassische Nord-Rampe trifft, 1,5 km von der Passhöhe entfernt, um von dort nach Grosio ins Valtelina abzufahren. Die neue, ab 2022 gefahrene Strecke führt von Sernio auf den Passo di Guspessa (1824 m), von dort geht es auf einem Höhenkamm über 8 wellige Kilometer zum "Passo del Mortirolo" (1852 m), nach 1,5 km Abfahrt kommt man wieder auf die "alte" Strecke. Die Höhenstraße wird vom Gran Fondo Gavia e Mortirolo, dessen Routen sich 2022 ebenfalls änderten (siehe lnks) in der Gegenrichtung befahren, nachdem der Mortirolo auf der klassischen Giro-Variante von Mazzo her bezwungen wurde. Übrigens: Der allgemein als "Passo del Mortirolo" bezeichnete Übergang heißt in Wirklichkeit Passo della Foppa, der echte Mortirolo liegt in der Nähe und ist nur ein besserer Trampelpfad. Aber als die Streckenplaner des Giro d'Italia diesen mörderischen Pass entdeckten, fanden sie "Passo del Mortirolo" wohl passender.
|
|