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Zurück im Anstieg? (16.01.22)
Allerorten blickte man schon vor dem Jahreswechsel auf das vergangene Jahr zurück – auf dieser Website wurde die Jahresbilanz 2021 leider erst im neuen Jahr fertig. Die vergangene Granfondo-Saison war zwar noch keine normale, aber es gab viel mehr Aktivitäten als im ersten Corona-Jahr 2020, langsam zeichnet sich die Rückkehr zur Normalität ab.
Auf den einschlägigen Websites fand sich leider keine Veranstaltungs-Statistik für 2021, daher hat mgf eine eigene Auswertung erstellt (was einer der Gründe für die verspätete Bilanz ist). Diese Auswertung umfasst alle 28 großen Granfondos, die 2019 mehr als 1.000 Teilnehmer hatten, sowie zusätzlich noch weitere 15 mittlere Veranstaltungen, die in der Granfondo-Liste von mgf zu finden sind. Auch wenn die Auswertung nicht umfassend ist, dürften in diesem Überblick die meisten für ausländische Starter relevanten Veranstaltungen enthalten sein.
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Erholung in 2021
Die Zahl der Veranstaltungen hat sich erfreulich erholt, von den 43 hier betrachteten, im Jahr 2019 veranstalteten Granfondos wurden im Jahr 2021 nur zehn abgesagt, 77% fanden wieder statt. Jedoch sanken bei fast allen Granfondos die Teilnehmerzahlen im Vergleich zu 2019 (um 14 bis 66 Prozent). Im Durchschnitt fehlten je Veranstaltung fast 500 Starter, das schlägt sich in der Gesamtzahl der Teilnehmer nieder: 2021 waren es 44 Prozent weniger als 2019. Nur vier Veranstaltungen konnten gegenüber 2019 zulegen: Granfondo Straducale (plus 10%), Granfondo degli Squali - Trek (plus 24%), Top Dolomites Granfondo (plus 132%) und Nova Eroica (plus 143%). Der große Sprung bei den letzten beiden Veranstaltungen lässt sich leicht erklären: beide sind noch relativ jung und klein, sie befinden sich noch in der Wachstumsphase.
Auffällig ist: Abgesagt wurden 2021 eher die kleineren Veranstaltungen in der hier betrachteten Liste. Von 15 Granfondos, die 2019 weniger als 1.000 Teilnehmer hatten, wurden sechs (40%) abgesagt. Von 28 Granfondos mit mehr als 1.000 Teilnehmer fanden nur vier (14%) nicht statt. Oder anders herum gesehen: Die relative Erholung der Teilnehmer-zahlen in der Saison 2021 ist vor allem den wieder stattfindenden großen Veranstaltungen zu verdanken. Die beiden größten, Nove Colli und Maratona dles Dolomites hatten 2019 an der Summe der hier betrachteten 43 Granfondos zusammen einen Anteil von 25%, 2021 stieg ihr Anteil auf 32%! Wäre der Granfondo Nove Colli (8.091 Teilnehmer) nicht auf Ende September verschoben, sondern abgesagt worden, sähe die Bilanz für 2021 sehr viel schlechter aus.
Ob noch kleinere, hier nicht betrachtete Granfondos ebenfalls stärker von Absagen betroffen waren, hat mgf nicht recherchiert. Nachdem sich die mittleren Veranstaltungen 2021 noch nicht wirklich erholt haben, ist jedoch zu befürchten, dass bei vielen kleineren Granfondos das Ende der Talsohle noch nicht erreicht ist.
Stagnation in 2022?
Allerdings muss man mit der jüngsten Entwicklung schon zufrieden sein. 86 Prozent der großen Granfondos (mit mehr als 1.000 Teilnehmern im Jahr 2019) waren 2021 wieder aktiv. Wenn man den Granfondo-Kalender 2022 betrachtet, kommt allerdings der Verdacht auf, dass die Zahlen heuer eher auf dem Niveau von 2021 stagnieren werden: Von den hier betrachteten 43 Granfondos haben derzeit nur 26 offiziell einen Termin kommuniziert. Für sechs weitere nennt wenigstens www.dalzero.it schon einen Termin. In Summe wären das aber nur 32 geplante Granfondos.
Von den anderen werden einige 2022 sicher nicht stattfinden: La Fausto Coppi (setzt heuer aus), La Leggendaria Charly Gaul (laut dalzero.it stark gefährdet), Granfondo Campagnolo Roma (Website abgeschaltet) und Gran Fondo Don Guanella (Website seit 2020 nicht mehr gepflegt, keine Erwähnung auf der GS Alpi-Site). Von den übrigen sieben Granfondos fanden 2021 fünf statt – wenn das auch heuer so wäre, kämen in Summe 37 Granfondos zusammen. Und zum Glück rücken auch immer wieder neue Veranstaltungen nach, siehe Premiere des Granfondo Nibali 2021.
Angesichts der derzeitigen Entwicklung der Infektionszahlen in Italien ist leider nicht auszuschließen, dass es auch zu Beginn der Saison 2022 wieder Verschiebungen geben wird, vielleicht sogar Absagen – dieses Prozedere dürfte mittlerweile für manche Veranstalter wohl schon traurige Routine sein. Unter'm Strich darf jedoch festgehalten werden: Das Corona-Tal ist durchquert, es geht langsam wieder aufwärts, auch wenn 2022 sicher noch kein normales Jahr werden wird!
In diesem Sinne: Auf geht's in ein gutes, neues Granfondo-Jahr!
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Dieses Bild vom ersten Anstieg der Nove Colli (Polenta) hat gleich mehrfachen Symbolcharakter: 1. Mit den Granfondos in Italien geht es wieder bergauf, wenn auch nur langsam. 2. Das Gedränge war trotz Corona-Auflagen 2021 eigentlich so groß wie immer. Und 3. war die Nove Colli wieder der größte Granfondo Italiens – ohne sie sähe die Jahresbilanz 2021 sehr viel schlechter aus!
Für Leser, denen die Helme etwas unmodisch vorkommen: Das Bild ist von 2008, von 2021 gibt es kein vergleichbares. Denn Dank einer glücklichen Fügung kam mgf in den Genuss einer frühen Startgruppe und konnte im Flaschenhals Bertinoro ohne den weiter hinten üblichen Stau durchfahren.
"Corona-Protokoll" 2021
2020 wurden die drei teilnehmerstärksten Radsport-Veranstaltungen in Italien wie viele andere abgesagt, 2021 fanden sie wieder statt und trugen maßgeblich zur Erholung der Granfondo-Szene bei. Der Verfasser dieses Beitrags war bei allen drei Veranstaltungen unter den Umbuchern von 2020 dabei – mit jeweils unterschiedlichen Strategien, aber überall mit der Erkenntnis, dass die meisten anderen Teilnehmer offenbar schon nicht mehr an das Corona-Virus dachten.
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Maratona dles Dolomites
Dieser Granfondo war vom Autor bewusst mit "Selbstversorgung" geplant, ohne Stops an den Verpflegungsstationen, dafür mit gut gefülltem Rucksack. Und – nachdem sich in der Warteschlange vor der Startnummern-Abholung viele nicht an Maskenpflicht und Abstand gehalten hatten – mit Start von ganz hinten. Vor der Startlinie musste daher erst mal das "fine corsa"-Auto überholt werden...
Das erwünschte – und dennoch erstaunliche – Ergebnis war: ungewohnt viel Platz auf der Straße, kein Stau, kaum Überholmanöver (im ersten Anstieg nur nach vorne) und mehr Freiheitsgrade in den Abfahrten (die dennoch sehr defensiv angegangen wurden). Ungewohnt für den Autor war, dass es erstmals seit Jahren unterwegs regnete. Wegen der für den Nachmittag ungünstigen Wettervorhersage war die Wahl sowieso schon auf die mittlere Strecke gefallen. Erstaunlicherweise bot die bis zu 19% steile "Mür dl giat" auch im Nassen beim Wiegetritt ausreichend Grip.
Der geringere Stress auf der Straße war natürlich auch Folge der um 38% geringeren Starterzahl. Dass die sonst üblichen fast 9.000 Teilnehmer diesmal nicht erreicht werden würden, war von vornherein klar. Für Teilnehmer aus Großbritannien etwa machte die kurz zuvor eingeführte Quarantäne-Pflicht eine Teilnahme praktisch unmöglich, statt der sonst rund 1.000 Briten waren 2021 nur 45 dabei. Auch die Deutschen, sonst ebenfalls immer über 1.000, waren mit 710 etwas weniger stark vertreten. Insgesamt kamen 5.585 Teilnehmer ins Ziel. Das Gedränge im Zielbereich war etwas geringer als sonst und die meisten hielten sich an die Maskenpflicht, dennoch verzichtete der Autor diesmal auf die Pasta-Party.
Offenbar haben auch die Organisatoren erkannt, dass weniger Teilnehmer weniger Probleme bereiten: 2022 werden nur noch 8.000 Teilnehmer zugelassen. Das Startgeld bleibt gegenüber 2021 unverändert bei 140 Euro (d.h. der 2021 eingeführte Corona-Aufschlag in Höhe von 19 Euro bleibt erhalten).
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Nove Colli
Für das von Mai auf Ende September verschobene 50. Jubiläum des größten italienischen Granfondos hatten die Organisatoren 10.661 Einschreibungen vermeldet (im Ziel waren es allerdings "nur" 8.091 Teilnehmer). Weil der Vorteil der frühen Startgruppe – am ersten Anstieg ohne Stau durchfahren können – nicht verschenkt werden sollte, kam die Spät-Start-Strategie hier nicht in Betracht. Eine späte Einfahrt in die Startaufstellung ermöglichte es dennoch, am Ende des Startblocks mit Abstand und sicherem Gefühl zu warten, obwohl sich die Mehrheit der Teilnehmer nicht an die Maskenpflicht hielt.
Leider konnte der Autor der Versuchung nicht widerstehen, sich von den schnellen vorderen Startgruppen mitziehen zu lassen. Die ersten Krämpfe kamen daher schon vor dem steilen Barbotto. Aber nachdem der Wetterbericht für den Nachmittag kräftige Regengüsse angekündigt hatte und vor der Streckenteilung durch den Blick auf dunkle Wolken bestätigt wurde, fiel die Entscheidung sowieso für die Kurzstrecke.
Vorteil der Planänderung: Das maskenlose Gedränge an den Verpflegungsstationen konnte weitgehend gemieden werden, das in den Trikottaschen mitgeführte Futter reichte mit nur einem Verpflegungsstop für die 135 Kilometer. Der Wasserverbrauch war zwar hoch, denn trotz des späten Termins im Jahr waren die Temperaturen Nove-Colli-typisch sehr warm. Aber Wasser gibt es in dieser Region überall, an vielen Brunnen.
Da es auch im Zielbereich ein weitgehend abstands- und meist maskenloses Getümmel gab, verzichtete der Autor auch hier auf die Pasta-Party. Wie in der Bildergalerie zu sehen, hielten sich die meisten Teilnehmer nur bei der Essensausgabe an die Vorgaben des Covid-Protokolls. Für die Nichteinhaltung war zwar eine Disqualifikation angedroht – aber wenn sich nur das Personal und eine absolute Minderheit an die Vorgaben hält, lässt sich so eine Drohung offenbar nicht umsetzen...
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L'Eroica
Der historische Radmarathon ohne Zeitnahme (nicht in dieser Auswertung enthalten) fand am traditionellen Termin statt (erstes Oktober-Wochenende). Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Veranstaltung auf zwei Tage verteilt. Weil die langen Strecken (209 und 135 km) am Samstag gefahren wurden und die kürzeren (106, 81 und 46 km) am Sonntag, wirkte sich diese Maßnahme jedoch praktisch nicht auf die Teilnehmerdichte auf der Strecke aus. Durch unterschiedliche Startzeiten waren die Lang- und Kurzstrecken schon immer voneinander getrennt.
Natürlich war hier, aufgrund des RTF-Charakters, des dadurch fehlenden Zeitdrucks und entzerrten Starts, die Dichte auf der Straße und an den Verpflegungsstellen durchweg geringer als bei normalen Granfondos. So musste man sich wohl nicht wundern, dass L'Eroica den Negativrekord beim Maskentragen aufstellte: Auf den offiziellen Bildern von den Verpflegungsstellen fand der Autor dieser Zeilen nur drei Teilnehmer, die wie vorgeschrieben Maske trugen. Das entspricht der durch den Autor vor Ort gesichteten Zahl von Maskenträgern – allerdings ausschließlich in der Startaufstellung, danach hätte der Verfasser in einen Spiegel schauen müssen!
Trotz der Aussicht, am Nachmittag in Gaiole auf Menschenmassen zu treffen – tatsächlich konnte man angesichts des Betriebs auf dem Rad-Flohmarkt glauben, es gäbe keine Pandemie (nur in einem Teilbereich gab es eine Mengenbeschränkung) – fiel die Wahl hier erneut auf die kürzere Strecke (135 km). Denn auch in der Toscana regnete es am späten Nachmittag (zwar fährt der Verfasser auch mal im Regen, wenn's nicht anders geht, wie z.B. 70 km bei L'Eroica 2016, aber dann sollte man bis zum Ziel wieder trocken sein). Zur Aussicht auf Regen kamen Zwischenstops wegen eines schleichenden Plattfußes, unerklärlich schwächelnde Lampen-Akkus und ein gebrochener Flaschenhalter, der die Tank-Kapazität halbierte. Irgendwie lief im zweiten Corona-Jahr mehr schief als sonst...
Eine gute Alternative boten die Verpflegungsstellen: Statt Selbstbedienung konnten sich nicht wählerische Teilnehmer manchmal auch direkt an der Straße eine vorgepackte Tüte schnappen und gleich ein ruhiges Plätzchen suchen. Nach der Zielankunft gab es ebenfalls Standard-Verpflegung, nur der Chianti musste separat geordert werden, die Bewirtungs-Zone lag im Freien – bei solcher Verpflegung kommt kein ungutes Gefühl auf...
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Fazit:
Die von den Veranstaltern vorgesehenen Corona-Regeln wurden bei den größten Granfondos (bei denen Regeln sicher am wichtigsten waren) von den meisten Teilnehmern nur in den "offiziellen" Bereichen eingehalten. In der Startaufstellung (zumindest bei Nove Colli und L'Eroica) und an den Verpflegungsstellen dominierten dagegen die Unmaskierten. Je später im Jahr und je weiter südlich die Veranstaltungen stattfanden, umso lockerer schienen es die Teilnehmer mit den Corona-Regeln zu halten.
In der Zivilbevölkerung war ein solches Verhalten kaum zu beobachten. Während in Fußgänger-Zonen vereinzelte Maskenträger flanierten und im Restaurant jeder Maske trug, fühlte sich der Verfasser im Granfondo-Feld mit (vorgeschriebener) Maske oft als absoluter Außenseiter. Offenbar sehnten sich die anderen Teilnehmer alle nach einem Gefühl von Normalität und heiler Welt wie früher, vor der Pandemie. Sorry, wenn der Autor diese Illusion durch das Einhalten der Regeln gestört haben sollte...
Wer für 2022 die Teilnahme an einem Granfondo plant, sollte sich darüber im Klaren sein, was ihn bei den Großveranstaltungen erwartet. Ungeimpft sollte man die großen Events wohl besser meiden – und wer sich nur sicher fühlt, wenn alle Teilnehmer die sinnvollen Vorschriften einhalten, sollte ebenfalls lieber daheim bleiben. Bei kleineren Granfondos gibt es dagegen mehr Möglichkeiten, dem Gedränge aus dem Weg zu gehen.
Für die Saison 2022 plant der Verfasser nur einen großen Granfondo. Daneben ergeben sich aber sicher spontan Gelegenheiten zur Teilnahme an kleineren Veranstaltungen – bei denen dann Arbeitslast, Form, Wetter und Infektionslage zusammenpassen werden. Genug potentielle Kandidaten haben sich in den vergangenen Jahren bei der Erstellung von fünf Granfondo-Alben ja inzwischen angesammelt...
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