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Der "Giro dei Libri" (09.05.20)

Heute hätte ursprünglich der Giro d'Italia beginnen sollen, wegen der Corona-Krise wurde die italienische Landesrundfahrt jedoch auf 03. bis 25. Oktober verschoben. Alle italophilen Radsportfreunde werden im Mai den gewohnten Blick durch die rosa Brille vermissen: Keine spannenden Rennen im Fernsehen, kein Kurzurlaub in den Alpen mit Zuschauen bei den Berg-Etappen, kein Spektakel mit italienischen Tifosi. Wie sich ein Giro im Herbst anfühlen wird, wenn es eigentlich Zeit für das "Rennen der fallenden Blätter" ist, bleibt abzuwarten – zumal heute noch niemand garantieren kann, dass der Giro dann wirklich stattfinden darf.

Zwar ist ein Großteil der Radsportwelt vor allem auf die Tour de France fixiert (laut Ralph Denk bringt die TdF für Bora-hansgrohe 70 Prozent des Jahres-Werbe-Werts), aber auch wenn der Giro nur das zweitwichtigste Rennen der Welt ist: Er ist das schönere und meist spannendere. Oder nach einem alten Werbespruch des Veranstalters: Er ist "das härteste Rennen durch die schönste Landschaft der Welt." Diese Überzeugung teilt mgf u.a. mit Alberto Contador, Andrew Hampsten, Herbie Sykes, Bill McGann und cycling-passion.com.

 

Wer schon jetzt im Mai Entzugserscheinungen hat, kann diese begrenzt bekämpfen: Längere Rad-Touren sind hierzulande zulässig, auch wenn hiesiges Terrain natürlich nicht mit den italienischen Alpen mithalten kann und nur einsame Ausreißversuche erlaubt sind. Fahren im Gruppetto und Café-Stops beim Italiener, um eine Tour wenigstens mit ein bisschen südländischem Flair abzuschließen, sind derzeit leider noch nicht drin.

Aktuelle TV-Berichte lassen sich notdürftig durch Filmkonserven ersetzen. Auch Fernsehen, Zeitungen und Online-Portale machen es ja derzeit oft ähnlich und füllen ihr Angebot mit Archivmaterial auf. Filme von Giro-Höhepunkten vergangener Jahre sind im www leicht zu finden. Und vielleicht schlummern in der Mediathek daheim ja auch noch alte Schätze? Ohne Strom und Internet-Verbindung funktioniert dagegen die klassischste aller Informationsquellen: Bücher!

Mit den hier vorgestellten Büchern kann der Monat Mai, auch ohne Giro, wenigstens literarisch zum rosa Monat werden. Und der Blick durch die rosa Brille, auf grandiose Bergetappen und epische Zweikämpfe, die Erinnerung an bessere Zeiten und die gedankliche Reise nach Italien kann vielleicht die derzeitige Situation für kurze Zeit vergessen lassen und ein bisschen die Motivation und Planung für die Zukunft fördern – auch wenn es eine Weile dauern wird, bis alles wieder halbwegs normal läuft.

 

Deutschsprachige Giro-Bücher...

gibt es leider nur wenige. Hierzulande ist die Radsport-Literatur zu sehr auf die Tour de France fixiert. Eine umfassende Giro-Dokumentation erschien auf deutsch bisher nicht, die verfügbaren Bücher beschäftigen sich nur mit ausgewählten Aspekten.

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Gino Cervi, Paolo Facchinetti: 100 Jahre Giro d'Italia, Bruckmann Verlag, München 2009, leider nur noch antiquarisch erhältlich

Das mit vielen schönen Bildern versehene Buch zeichnet ein gelungenes Gesamtbild der wohl schönsten Rundfahrt der Welt. Beleuchtet werden die Besonderheiten des Giro, Ereignisse und Mythen, die seinen Ruhm begründeten, dazu die großen Fahrer-Duelle, die legendären Berge, die Landschaften des "Belpaese" und die Fans, die Tifosi. Eine detaillierte Dokumentation einzelner Jahre oder gar Etappen gibt es nicht, nur die wichtigsten Daten der einzelnen Auflagen und eine Liste aller Etappensieger. Wer die Ereignisse im Detail nachvollziehen will, ist auf fremdsprachige Literatur angewiesen.
[bereits im Beitrag "Für italophile Bücherwürmer" vorgestellt]

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Peter Leissl: Die legendären Anstiege des Giro d'Italia, Covadonga Verlag, Bielefeld 2008, 24,90 Euro

Mehr als eine bloße Beschreibung von 20 Passtraßen (plus weiterer 26 im Schnelldurchgang): Auch die Giro-Geschichte der Pässe wird ausgiebig gewürdigt (und dabei manche legendäre Etappe mehrfach erwähnt). Mit diesem Hintergrundwissen macht das Pässe-Radeln in Bella Italia gleich noch viel mehr Spaß! Die historischen Geschichten und Bilder nehmen mehr als die Hälfte der 192 Seiten ein. Bis zum Erscheinen von "100 Jahre Giro" war dies das umfangreichste deutschsprachige Giro-Buch – und inzwischen ist es das auf dem Neu-Buch-Markt auch wieder.
[bereits im Beitrag "Für italophile Bücherwürmer" vorgestellt]
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Diese beiden Bücher befassen sich jeweils nur mit einem einzigen, lange zurückliegenden Giro: das eine mit einem der berühmtesten, das andere mit dem (was die Ausfallquote betrifft) härtesten.

Dino Buzzati: Beim Giro d'Italia, Covadonga Verlag, Bielefeld 2014, Taschenbuch 12,80 Euro

Im Jahr 1949 berichtete der in Italien hochverehrte Schriftsteller im Auftrag einer Zeitung über den Giro. 1949 – das war laut einer Journalistenwahl 2012 einer der drei "besten Giros aller Zeiten" und Schauplatz des "besten Etappensiegs". Dank des glücklichen Zufalls wurde das damalige epische Duell zwischen Fausto Coppi und Gino Bartali auf literarisch angemessenem Niveau verewigt, mit dem Pathos der Nachkriegsjahre. In die täglichen Zeitungsberichte baute Buzzati sicherlich vorgefertigten Text ein und vermischt Realität und Legende, Sportjournalismus und große Literatur – historisch wertvoll.
[bereits im Beitrag "Für italophile Bücherwürmer" vorgestellt]
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Tim Moore: Gironimo! Ein Mann, ein Rad und die härteste Italien-Rundfahrt aller Zeiten, Covadonga Verlag, Bielefeld 2014, Taschenbuch 14,80 Euro

Im Jahr 2012 fuhr der Autor (soweit heute noch möglich) die Strecke des berüchtigten Giros von 1914 nach – auf einem Rad von 1914! Parallel zum Selbsterfahrungstrip wird die historische, brutale Rundfahrt nachgezeichnet, bei der nur acht von 81 Startern ins Ziel kamen. Der Leser staunt, wie blauäugig, technisch diletantisch und kaum vorbereitet Moore die Monster-Tour anging und trotzdem mit Willen, Härte und viel Dusel sein Ziel erreichte. Ein amüsantes, unterhaltsames Buch – wenn man diverse Fehler in Geografie und Geschichte sowie aufkommende Zweifel (ob sich das alles wirklich so abgespielt haben mag) ausblendet und den manchmal etwas merkwürdigen britischen Humor verträgt...
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Italienischsprachige Giro-Bücher...

erschienen zuletzt gehäuft zum 100. Giro im Jahr 2017, die nächste Welle gibt es wohl erst in ein paar Jahren. Italienische Bücher sind manchmal nur kurze Zeit verfügbar und etwas schwieriger zu beschaffen, siehe Spalte rechts. Die hier vorgestellten Bücher hat mgf (bis auf das erste) noch ganz klassisch vor Ort in Italien gekauft, daher fehlt in dieser Liste sicherlich manches gute Buch.

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Luca Marianantoni: 110 anni in rosa, Edizioni Pendragon, Bologna 2019, Taschenbuch ca. 20 Euro

Die derzeit aktuellste Giro-Chronik ist ähnlich gestaltet wie "100 volte", allerdings in kleinerem Format: Jeder Giro bis 2018 wird auf zwei Seiten beschrieben, mit Etappenergebnissen bis Platz drei und einer kurzen Zusammenfassung des Rundfahrtverlaufs. Für die konzeptbedingt nur wenigen (schwarz-weißen) Bilder entschädigt der exzessive Statistikteil, u.a. mit alphabetischen Listen aller 677 Etappensieger, aller 274 Träger des Rosa Trikots und einer Rangliste aller Podiumsplazierten, in der Coppi vor Binda und Merckx landet. Eine "Super-Gesamtwertung" bewertet zusätzlich Etappensiege, Tage in rosa u.a. – hier siegt Binda knapp vor Merckx und Bartali. Dieses Buch gehört ins Regal jedes Giro-Fans!
Nachtrag 11.06.20: Bei der Cima-Coppi-Liste haben sich leider ein paar
Fehler eingeschlichen. Und Jahre, in denen es später Disqualifikationen gab, werden teilweise dargestellt, als wären die Dopingsünder überhaupt nicht mitgefahren – was ziemlich verwirrt, wenn man damals dabei war.
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Mimmo Franzinelli: Il Giro d'Italia dai pionieri agli anni d'oro, Feltrinelli Editore, Milano 2015, Taschenbuch ca. 12 Euro

Hier wird die Geschichte der "goldenen Jahre" bis 1985 dokumentiert, mit einem Schwerpunkt auf der Entwicklung von Konzept und Organisation des Giro, sowie gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergründen. Auch die Giro-Vorgeschichte wird ausführlich beschrieben, die sportlichen Ereignisse gibt es anderswo mit mehr Details und Elan. Vincenzo Torriani, 44 Jahre Orga-Chef, erhielt ein eigenes Kapitel. Viele der 217 schwarz-weiß-Bilder aus dem Torriani-Archiv sind passend zum Schwerpunkt gewählt und hier (kleinformatig) vermutlich erstmals zu sehen. Eine Besonderheit ist die Liste von 545 (!) bis 2012 veröffentlichten, fast ausschließlich italienischen Radsport-Büchern im Anhang.
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Pier Bergonzi, Elio Trifari (Hrsg.): Un secolo di passioni, RCS Libri, Milano 2009, leider nur noch antiquarisch erhältlich

Dieses Buch aus dem Gazzetta-Verlag erschien zum hundertjährigen Jubiläum des Giro, das Konzept ähnelt "100 Jahre Giro". Die Geschichte der Rundfahrt wird nicht lückenlos dokumentiert, sondern durch 27 Artikel verschiedener Journalisten, zu "Ursprüngen", "Große Rivalitäten", "Spezialisten" (Kletterer, Sprinter, Zeitfahrer, Wasserträger) und weiteren Themen aus der "Welt des Giro". Der Verlauf jeder Auflage wird zudem sehr komprimiert beschrieben, auf einem rosa Band, das sich am unteren Seitenrand durch das ganze Buch zieht. Der Statistik-Teil umfasst alle Etappensieger und die Gesamtwertungen bis Platz 10. Besonders schön: viele großformatige Bilder!
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Pier Bergonzi (Hrsg.): 100 volte Giro, RCS Media, Milano 2017, im Gazzetta-Store für 14 Euro plus Versand

Das Buch erschien zum 100. Giro und verfolgt ein ganz anderes Konzept als "Un secolo" vom selben Autor: Es ist eine lückenlose, chronologische und ziemlich detaillierte Dokumentation. Jeder der 99 Giros bis 2016 erhält zwei große Seiten, mit einer Gesamtkarte der Strecke, Etappen-Ergebnissen bis Platz drei und Gesamt bis Platz 10, sowie einem kurzen Bericht zum Verlauf der Rundfahrt. Besondere Sternstunden erhielten zusätzliche Seiten. Auch bei den Rekordlisten (Anzahl Podiumsplätze und Anzahl Teilnahmen, Siegesserien u.a.) schließt das Buch bestehende Lücken, so dass sich "Un secolo" und "100 volte" sehr gut ergänzen.
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Sergio Meda, Fabrizio Delmati: Il Giro in vetrina, RCS Libri, Milano 2016, nur noch antiquarisch erhältlich

Der Titel passt perfekt zum Inhalt: "Der Giro im Schaufenster". Das Buch verfolgt ein ähnliches Konzept wie "100 Jahre Giro" und punktet auf 200 Seiten vor allem durch viele schöne Bilder, die es in dieser Art selten zu sehen gibt – nicht nur aus allen Epochen des Giro, von legendären Fahrern und Etappen, sondern auch von hinter den Kulissen, von der Arbeit der Teams, Werbekarawane, Journalisten. Ein prima Bilderbuch.
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Pietro Calabrese: i Miti del Giro, RCS Quotidiani, Milano 2004, nur noch antiquarisch erhältlich

Das 60 Seiten dünne Buch gab es nur als Beilage zur Gazetta dello Sport. Neben einem Schnelldurchlauf durch die Giro-Geschichte werden die größten Legenden und Sieger gewürdigt, die "glorreichen sieben" Fahrer, die bis 2004 Giro und Tour de France gewannen, erhalten etwas mehr Raum. Der Inhalt ist, mit besserer Bildqualität, natürlich auch anderswo zu finden. Das Buch steht hier auch als Anregung, bei einem Giro-Besuch im Zeitschriftenladen nach ähnlichen Publikationen Aussschau zu halten.
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Giuseppe Castelnovi u.a.: Cuneo-Pinerolo - Il Giro sulle Alpi piemontesi a 60 anni dall'impresa di Coppi, Edit Vallardi, Cassina de Pecchi 2009, nur noch antiquarisch erhältlich

Ein spezielles Buch, denn es beschäftigt sich (fast) nur mit einer einzigen Giro-Etappe! Neben vielen Details zur Strecke und den Ereignissen der legendären 17. Etappe des Giro 1949, Fausto Coppis Meisterstück, beschreibt das 160-seitige Buch den Start- und den Zielort, schildert das Rennen aus Sicht von Betreuern und Wasserträgern, liefert komplette Ergebnisse und Bulletins von 1949, beleuchtet kurz die späteren Cuneo-Pinerolo-Etappen 1964 und 1982, sowie einiges mehr. Bis zur Entdeckung dieses Buchs dachte mgf, eine Broschüre zu Cuneo-Pinerolo wäre schon eine ziemlich schräge Idee...
[bereits im Beitrag "100 Jahre Fausto Coppi" vorgestellt]
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Beppe Conti: La grande storia del ciclismo, Graphot Editrice, Torino 2017, ca. 30 Euro

Eigentlich kein Giro-Buch, aber (geschätzt) fast ein Viertel dieser 670-seitigen Radsport-Chronik 1869-2017, vom wohl bekanntesten Radsport-Reporter Italiens, handeln vom Giro d'Italia – vor allem, wenn er die titelgebende "große Geschichte" bereicherte. Eine solcher Schmöker kann zwar keine Giro-Chronik ersetzen, durch den erweiterten Blickwinkel jedoch gut ergänzen. Das können auch andere Bücher, die sich mit dem Giro beschäftigen, auch wenn sie ihn nicht im Titel tragen – solche gibt es auch in deutscher Sprache, obwohl Radsport-Chroniken in deutsch leider oft nur erweiterte Chroniken der Tour de France sind.

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Englischsprachige Giro-Bücher...

bieten derzeit die größte Auswahl, wenn man eine Giro-Chronik sucht, die von den Anfängen bis heute möglichst lückenlos ist. Dem Radsport-Boom in Großbritannien und den USA folgte als positiver Nebeneffekt ein großes Angebot von Radsportbüchern. Anders als in deutschen Büchern kam dabei der Giro erfreulicherweise nicht völlig zu kurz.

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Bill & Carol McGann: The Story of the Giro d'Italia - A Year-by-Year History of the Tour of Italy (Volume One: 1909-1970, Volume Two: 1971-2011), McGann Publishing, Cherokee Village 2011, Taschenbuch je ca. 20 Euro

Die beiden Bände sind gut zu lesen und beschreiben den Verlauf jedes Giro ziemlich detailliert, auch mit Zwischenständen der Gesamtwertung, die man anderswo kaum findet. Dies ist die wohl umfassendste derzeit (noch?) erhältliche Giro-Chronik, die allerdings ein wenig von der Akribie und Systematik eines Witte vermissen lässt.

Das Vertrauen in die Bücher wird leider durch eine Reihe von Fehlern getrübt, z.B. beim Giro 1949: Der letzte Ruhetag war, wie der offizielle Streckenplan zeigt, schon vier Etappen vor Schluss, nicht erst vor dem Zeitfahren der vorletzten Etappe. Der Verlauf des Epos Cuneo-Pinerolo wird in widersprüchlichen Versionen beschrieben, die wahrscheinlichste (in der italienischen Literatur längst bekannte) fehlt. Die Behauptung, Coppi und Bartali wären den Giro 1949 mit der Campagnolo-Corsa-Schaltung gefahren, nur 18 Tage später bei der Tour de France dagegen mit Simplex bzw. Cervino, ist ebenso unlogisch wie falsch. Coppi schaltete bereits 1947 sporadisch mit Simplex, 1948 und 1949 bei allen großen Rennen; Bartali verwendete 1949 ausschließlich Cervino; 1950 nutzte Coppi wieder Campagnolo, zunächst Corsa und Roubaix, später Gran Sport, das "Urmeter" aller modernen Schaltungen das belegen viele Fotos von damals.

Leider verwenden die McGanns nur wenige (schwarz-weiße) Bilder, auch liefern sie weder detaillierte Ergebnisse (nur bis Gesamtplatz fünf), noch eine Giro-Statistik. Dafür gibt es Glossar und Index (sonst selten). In den USA gibt es die Bücher offenbar nur noch als eBook, eventuell sind sie in Europa auch nicht mehr lange erhältlich. Aber das macht nichts, denn fast den kompletten Buchinhalt gibt es auch im www...
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Herbie Sykes: Maglia rosa - Triumph and tragedy at the Giro d'Italia, Rouleur Books, London 2013 (Erstauflage 2011), ca. 50 Euro

Dies ist keine vollständige Chronik, sie beschränkt sich auf ausgewählte Triumphe und Tragödien: Ein schöner Mix aus Geschichten in epischer Prosa (für die sich ein gutes Wörterbuch empfiehlt), zeitgenössischen Berichten (die z.B. die gigantische Ausfallquote am Monte Bondone 1956 der falschen Anwendung von Amphetaminen zuschreiben) und Interviews mit den Protagonisten von damals (die manches Ereignis in neuem Licht zeigen – wie etwa die Gavia-Etappe 1960, bei der Anquetil mit fremder Hilfe seinen ersten Giro-Sieg sicherte). Herzergreifend geschildert wird die traurige Geschichte von Orfeo Ponzin, der als erstes Todesopfer des Giro 1952 sein Leben ließ, bevor sein vielversprechender Stern aufgehen konnte. Auch wenn manche Sternstunde – z.B. der Giro 1949 mit der legendären Etappe Cuneo-Pinerolo, laut Sykes immerhin "der größte Moment in der Geschichte dieses Sports" – nur kurz gestreift wird, ist das mit schönen, großformatigen Bildern versehene Werk ein grandioser Meilenstein der Radsport-Literatur, dessen Preis (2017 noch 35 Euro) zuletzt offenbar kräftig zugelegt hat.
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Brendan Gallagher: Corsa rosa - A history of the Giro d'Italia, Bloomsbury Publishing, London 2017, Taschenbuch ca. 20 Euro

Die derzeit aktuellste Chronik in Englisch dokumentiert den Giro bis 2016 und liegt beim Konzept zwischen McGann und Sykes: Nicht sklavisch chronologisch, aber ohne echte Lücken. Entwicklungen und Einflüsse, die den Giro begleiten, sowie Höhepunkte wie der Krimi 2016 erhalten mehr Raum, dafür werden wenig ereignisreiche Jahre knapper abgehandelt. Diese Giro-Geschichte liest sich spannend und flüssig, ein Wörterbuch braucht man seltener als bei Sykes. Das Buch enthält nicht allzuviele Bilder (jedoch in hoher Qualität und teilweise farbig), dafür wichtige Daten und Statistiken, sowie einen hilfreichen Index, der neben Seiten- auch Jahreszahlen nennt und so einen chronologischen Faden durch die nur grob in Epochen eingeteilten Kapitel zieht.
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Simon Warren: 100 greatest cycling climbs of Italy - A guide to the famous mountains of the Giro d'Italia and beyond, Robinson Books, 2019, Taschenbuch ca. 15 Euro

Hier erhält jeder Pass zwei Buchseiten: Eine halbe Seite für grobe Daten, Lage und Höhenprofil, eine halbe Seite für eine Kurzbeschreibung der Auffahrt und wichtige Hinweise, eine ganze Seite für oft nichtssagende, schlechte Bilder. Dass jeweils nur eine Variante beschrieben wird, ist bei vielen Bergen sehr schade. Trotz des Titels wird die Giro-Geschichte der Pässe leider kaum erwähnt. Im komprimierten Trikottaschen-Format ist das nicht einfach, aber für den Autor hat der Giro offenbar erst ab den 80er Jahren und den seltenen (manchmal zweifelhaften) britischen Erfolgen stattgefunden. Dies und viele Fehler (z.B. Sestriere französisch geschrieben) passen zu dem oberflächlichen Buch, das nur begrenzt brauchbar ist, auch weil ein paar namhafte Giro-Pässe fehlen.

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Die Qual der Wahl...

Als Basisausstattung für Giro-Fans empfiehlt mgf von den aktuellen Büchern Marianantoni und Gallagher. Sie ermöglichen, ergänzt durch die Streckenpläne von www.giroditalia.it, einen guten Einstieg in die Giro-Historie. Wer sich vor allem für Bergetappen interessiert (auch wenn er sie selbst vielleicht gar nicht nachfahren will), findet bei Leissl einen schönen Rückblick auf wichtige Giro-Höhepunkte. Und wer epische Schilderungen von Sternstunden und Dramen liebt, wird (leider nur zu einem fürstlichen Preis) bei Sykes fündig.

Auch wenn viele Informationen zum Giro inzwischen digital und kostenlos verfügbar sind, hat das Blättern in einem schönen Buch für mgf immer noch sehr viel mehr Flair als das Stöbern im www. Für gedruckte Literatur braucht man zudem weder Strom noch eine funktionierende Internet-Verbindung. Und ein mit Bedacht gefülltes und gut sortiertes Bücherregal ist eine gute Versicherung gegen Langeweile – jetzt in Zeiten der "sozialen Distanz" und auch später, als Altersvorsorge, wenn sich die Beschäftigung mit dem Radsport irgendwann zwangsweise von aktiv auf eher passiv verlagern wird...

 

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Diese Bücher zeigen schon durch die auf dem Einband dominierende Farbe, worum es geht: Um "tutto il rosa della vita" (Wahlspruch der Gazzetta dello Sport). Mit diesen Büchern kann der Monat Mai – trotz der des derzeitigen Rennpause und der Verschiebung des Giro d'Italia – wenigstens literarisch zum rosa Monat werden.

[Hinweis: Die Abbildungen der Bücher auf dieser Seite haben unterschiedlichen Maßstab]

 

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Weitere Literatur und mehr zum Thema Giro:

 

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Programmhefte 2011 bis 2014

Glückliche Jahre: Von 2011 bis 2013 gab es ein "Offizielles Programm" des Giro d'Italia vom Magazin Pro Cycling, 2014 noch eins vom Cyclist-Verlag. Neben der Beschreibung der einzelnen Etappen enthielten die Hefte auch einige Hintergrund-Berichte und Portraits der jeweiligen Favoriten. Eine ähnlich umfangreiche Giro-Vorschau gibt es in Form einer Zeitschrift inzwischen leider nicht mehr, die beste Einstimmung auf den Giro d'Italia bietet (in normalen Jahren) der Sonderteil im Mai-Heft von Pro Cycling.

 

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Der "Garibaldi" – das "Jahrbuch" des Giro

Herausgegen vom Giro-Veranstalter RCS, enthält dieser Führer für Teilnehmer, Betreuer, Journalisten und andere Giro-Begleiter eine komplette Beschreibung der Strecke, mit Karten, Profilen, Marschtabellen und allen Details, sowie touristische Hinweise zu Sehenswürdigkeiten der besuchten Städte und Regionen. Das Giro-Streckenbuch ist nach dem Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi benannt, der mit einem Heer von Freiwilligen entscheidend zur Vereinigung Italiens – dem "Risorgimento" – beitrug und in drei Unabhängigkeitskriegen 1848 bis 1870 das ganze Land durchquerte. Interessant: Der "Garibaldi" verwendete 2006 als Zweit-Sprache noch Französisch, heute Englisch – ein Zeichen der Globalisierung der Radsportwelt. Manchmal kann man das dicke Taschenbuch als Zuschauer ergattern, es steht aber auch ein paar Wochen vor dem Start auf der Giro-Website als Mega-PDF zum Download bereit. Teilweise sind die Ausgaben der letzten Jahre noch im www verfügbar und über eine "gute" Suchmaschine leicht zu finden.

 

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"Sekundär-Literatur" zum Giro

Die folgenden beiden Bücher beschäftigen sich zwar nicht primär mit dem Giro, dennoch liefern sie für bestimmte Jahre sogar mehr Informationen, als dies manches auf den Giro fokusierte Buch tut...

Udo Witte: Campionissimo, Monsieur Chrono, Kannibale & Co. (Band 1: 1946-1959, Band 2: 1960-1975), Books on Demand, Norderstedt 2015, Taschenbuch je 16 Euro
Wer sich für den Radsport der Nachkriegsjahre bis zum Anfang vom Ende der Ära Merckx interessiert, kommt an diesen Büchern nicht vorbei. Alle großen Rennen und Fahrer-Karrieren von 1946 bis 1975 werden hier mit beeindruckender Systematik und Akribie dokumentiert. Jeder Giro erhielt zwei bis drei Seiten, mit Vorgeschichte und den wichtigsten Ereignissen. Manche Informationen liefert so kein anderes Buch: Das Gesamtergebnis reicht bis Platz 25, Start- und Zielorte der Etappen sowie alle Bergwertungen werden genannt, damit ist der Streckenverlauf in den Bergen meist exakt nachvollziehbar. Als Datenbasis sehr zu empfehlen!

Walter Lemke: Fausto Coppi - Zwei Jahrzehnte internationaler Radrennsport, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2007 (Erstauflage 1999), 35 Euro 
In dieser Biografie erhält der Giro zwangsweise viel Raum, denn Coppi fuhr die Rundfahrt 13-mal (von 1940 bis 1958), gewann fünfmal die Gesamtwertung und 25-mal eine Etappe. Jede vom "Campionissimo" bestrittene Ausgabe wird auf jeweils vier bis 16 Seiten dokumentiert, abhängig vom Verlauf der Ereignisse, und natürlich (fast) immer mit Coppi im Mittelpunkt.
[bereits im Beitrag "100 Jahre Fausto Coppi" vorgestellt]

 

Informationsquellen zum Giro im www

Nicht verschwiegen werden darf, dass einige Daten und Geschichten aus den vorgestellten Büchern auch im www verfügbar sind. Manche Websites liefern (teilweise erschreckend) umfangreiche Details zur Giro-Geschichte:

www.giroditalia.it Die Giro-Organisatoren haben zum 100. Giro eine Chronik ins Netz gestellt, die glücklicherweise auch weiterhin gepflegt wird. Neben einer Zusammenfassung der Ereignisse jeder Ausgabe (nur sehr kurz, dafür in italienisch, englisch, französisch, spanisch) gibt es jeweils eine Karte der Gesamtstrecke und einige (zu frühen Jahren nur wenige) Bilder, Ergebnislisten dagegen nicht.

www.bikeraceinfo.com Die Autoren von "The Story of the Giro d'Italia" haben hier eine Fülle von Informationen zu allen Giro-Ausgaben seit 1909 zusammengetragen. Tatsächlich geht der Inhalt sogar über die Bücher hinaus! Es gibt detailliertere Ergebnisse und Streckendaten sowie mehr Bilder. Erst ab 2001 (Start der Website) unterscheiden sich Buch- und Web-Version: Etappen-übergreifende Betrachtungen, Hintergründe und Zusammenhänge bis 2011 gibt es nur in Band 2. Diese Website ist sicher die umfassendste öffentlich zugängliche Datenbank zum Giro!

cycling-passion.com Diese Seite beleuchtet die Giro-Geschichte mit interessanten Artikeln, u.a. die Cima Coppi (so wird seit 1965 der jeweils höchste Pass eines Giro bezeichnet), das legendäre Duell zwischen Coppi und Koblet am Stelvio 1953 (dessen überlieferten Ablauf Gallagher jedoch, aus Sicht von mgf zurecht, in Frage stellt) und die größten Giro-Momente nach einer Journalisten-Auswahl. Dazu eine Giro-Statistik, schöne Bilder und Links zu tollen Videos. Viel Spaß beim Stöbern!

www.eurosport.de Eine der wenigen deutschsprachigen Seiten zur Geschichte des Giro d'Italia, hier gibt es eine Übersicht der Sieger und Rekord-Listen, außerdem auch eine Seite mit einer Zusammenfassung der (leider wenigen) deutschen Erfolge. [Nachtrag 12.06.20]

 

 

Online oder klassisch kaufen?

Tipp zum Bücherkauf: Auch viele kleine Buchläden können ausländische Bücher besorgen, selbst italienische. mgf kauft fast immer beim Händler vor Ort, so gut wie nie im www. Vorteile des Kaufs im Laden: Man muss sich wegen der Lieferung keine Gedanken machen, kann selbst bestimmen, wann man das Buch abholt – und manchmal (wenn auch selten) ist der Preis sogar günstiger als am Amazonas.

Interessant: Ausgerechnet in der Corona-Krise schwächelte der Online-Laden des reichsten Manns der Welt im ehemaligen Kerngeschäft. Während man beim Internet-Händler mit langen Lieferzeiten vertröstet wurde, weil angeblich wichtigere Dinge höhere Priorität hatten, konnte man beim kleinen Buchladen vor Ort weiterhin Bücher bestellen (per Mail oder Telefon), die am nächsten Tag frei Haus geliefert wurden. So sieht guter Service aus! Also kauft lieber (wieder) bei eurem Buchladen vor Ort, der zahlt auch ehrliche Steuern in unserem Land!

 

Der Buchmarkt in Italien ist etwas anders...

Ein eigentlich nachliegender Gedanke – der Buchkauf während eines Radurlaubs in Italien – lässt sich in jüngster Zeit immer schwerer realisieren. Buchläden scheinen in manchen Regionen, insbesondere in kleineren Städten in der Provinz, langsam auszusterben. Und die noch vorhandenen Läden lehnen es oft ab, wenn man während eines Urlaubs ein Buch bestellen und es ein paar Tage später abholen möchte. Der Zeitschriftenhandel bietet zwar auch Bücher an, aber dort ist die Bandbreite gering und Radsport rar, insbesondere außerhalb der Giro-Saison.

Außerdem sind Bücher in Italien oft nur kurze Zeit verfügbar. Dass ein Verlag ein Buch noch Jahre nach Veröffentlichung im Programm hat, kommt in Italien seltener vor als hierzulande. Und neue Auflagen werden anscheinend auch seltener gedruckt. Wenn das manchmal enge Zeitfenster verpasst wurde, gibt es ein Buch oft nur noch auf dem Gebrauchtmarkt – auf dem sich die Verfügbarkeit in Zeiten von eBay und gut vernetzten Antiquariaten aber zugegebenermaßen verbessert hat.

Neue Radsport-Bücher werden manchmal auf einschlägigen Websites besprochen, auch auf Seiten mit Granfondo-Nachrichten, wie zum Beispiel www.cyclinside.it. So lässt sich manche Neuerscheinung rechtzeitig entdecken.

Anders als in Deutschland gibt es in Italien keine gesetzlich verordnete Preisbindung für Bücher. Diese Besonderheit ist vermutlich dafür verantwortlich, dass hierzulande praktisch jedes deutsche Buch in jedem Buchladen (egal ob vor Ort oder online) bestellt werden kann. Daher kann man beim Fischen nach Büchern am Amazonas ziemlich sicher sein, dass alle deutschen Bücher zum gesuchten Thema ins Netz gehen. In Italien funktioniert das nicht immer. Dort können Verlage offenbar frei entscheiden, über welche Kanäle sie ihre Bücher vertreiben. Und viele dieser Kanäle führen nicht zum Amazonas, in Italien ist der Online-Buchmarkt differenzierter.

Das macht zum einen die Suche nach Büchern etwas schwieriger, weil man an mehreren Stellen – den Online-Shops der Verlage und großen Buchhändler – suchen muss, deren Suchfunktionen und Informationsangebote teils recht unterschiedlich sind. Zum anderen gibt es ein Buch oft nur bei einem Online-Shop, d.h. mit mehr Aufwand und Versandkosten. Auch hier kann sich die Anfrage beim kleinen Buch-Händler vor Ort in Deutschland lohnen, vielleicht kann er ja über einen Großhändler manches exotische Buch für den Kunden ganz bequem beschaffen – auch wenn das oft ein paar Tage länger dauert. Bei Büchern zum Thema Coppi hatte mgf schon Glück, zum Giro läuft gerade eine neue Anfrage...

 

Weitere Seiten mit Büchern bei mondogranfondo.de:

"Für italophile Bücherwürmer"

"100 Jahre Fausto Coppi"

"Die Regeln: Wer braucht 'nen Kodex?"

 

 

 

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