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Ein verlorenes Jahr durch Corona? (31.03.–21.05.20)

Heute ist in Italien ein Tag der Trauer. Und auch mgf trauert mit Italien um die vielen Toten, deren Gesamtzahl um einigens höher liegen wird als die offiziell erfasste Zahl (Stand gestern, auf dem Höhepunkt der Krise: 11.591 von 60 Mio. Italienern). Aber an diesem Tag der Trauer gibt es dennoch Anlass zur Hoffnung auf Besserung der Lage. Begraben muss man dafür wohl eine andere Hoffnung: So wie es derzeit aussieht, können jetzt wohl nur noch unverbesserliche Optimisten damit rechnen, dass heuer noch die Teilnahme an Granfondos möglich sein wird.

 

Wann ist Rückkehr zur Normalität möglich?

In der Corona-Krise scheint in Italien langsam ein Licht am Ende des Tunnels in Sicht, seit drei Tagen liegt die Zahl der Neuinfektionen unter sieben Prozent - dieser Wert markiert laut Uni Wien die Grenze, ab der sich die Corona-Epidemie zumindest nicht mehr weiter verschärft. Um Entwarnung geben zu können, müssen die Zuwachszahlen aber noch weiter deutlich sinken.

Falls jetzt tatsächlich der Höhepunkt der Epidemie überschritten ist, könnte mit etwas Glück – wenn die Kurve der Neuinfektionen ihren Wendepunkt erreicht hat und genauso schnell absinkt, wie sie angestiegen ist – der derzeitige Ausnahmezustand Ende April gelockert werden. Dies deckt sich mit der Einschätzung der italienischen Pharma-Behörde AIFA vom 26.03. und passt auch annähernd zu der Entwicklung in China: In Wuhan galten die strengen Isolationsbestimmungen zwei Monate. Denkbar ist, dass – wie in China – die Restriktionen in Italien auch nur schrittweise und regional unterschiedlich aufgehoben werden. In den Schwerpunkten in Norditalien, insbesondere in der Lombardei, dürfte die Rückkehr zu einem einigermaßen normalen Alltag noch ein Stück weiter entfernt sein.

 

Falls dieses Szenario eintritt, muss man davon ausgehen, dass die Granfondo-Saison 2020 praktisch gelaufen ist. Eine ganze Reihe von Gründen spricht dafür, dass zumindest ausländische Starter die Teilnahme an italienischen Granfondos heuer vergessen müssen:

  • Jede große Veranstaltung erfordert ein Minimum an Vorbereitung, mgf schätzt für einen Granfondo (wenn er nicht ganz so perfekt laufen soll wie gewohnt) etwa sechs Wochen Vorbereitungszeit. Nachdem bislang jegliche "nicht notwendige" Arbeit untersagt war, wären ab Mitte Mai die ersten Granfondos denkbar – aber das wird wohl nur eine theoretische Option bleiben...
     
  • Denn Veranstaltungen mit Tausenden von Teilnehmern könnten die Epidemie wieder aufflackern lassen. Das Letzte, was die Behörden zulassen werden, sind Veranstaltungen, die nur dem individuellen Vergnügen dienen, aber den Erfolg der jüngsten, brutalen Anstrengungen zunichte machen könnten.
     
  • Eine Genehmigung wäre eventuell leichter, wenn die Veranstalter einen Modus finden würden, der größere Menschenansammlungen strikt vermeidet – d.h. den Granfondo durch ein Einzelzeitfahren ersetzen und die Startaufstellung dafür zeitlich und räumlich stark entzerren. Aber es ist fraglich, wie die Teilnehmer so eine Notlösung aufnehmen würden – und bei Mega-Events wie der Nove Colli mit 12.000 Teilnehmern wäre so etwas gar nicht möglich.
     
  • Für Teilnehmer aus dem Ausland wird erschwerend hinzu kommen, dass jedes Land, das die Corona-Epidemie unter Kontrolle gebracht hat, Neuinfektionen aus dem Ausland vermeiden will. So wie es China derzeit vormacht und alle Einreisenden in Quarantäne schickt, wird auch Italien die aktuell für Rückkehrer geltenden Bestimmungen wohl noch längere Zeit für alle Einreisenden aufrecht erhalten: Laut Ministerialdekret 120/2020 ist für alle Einreisenden nach Italien eine Meldung und 14 Tage Isolation unter ärztlicher Beobachtung verpflichtend.

Letzteres würde die Teilnahme an Veranstaltungen im Ausland praktisch unmöglich machen. Denn zur Isolation in Italien kommen eventuell noch 14 Tage Isolation im Anschluss an die Rückkehr nach Deutschland hinzu. Das erfordert mindestens 4 1/2 Wochen Urlaub und die Mitnahme eines Rollentrainers, um vor dem Granfondo die Form nicht völlig zu verlieren...

Die einzige Hoffnung wäre, dass wir in Deutschland etwa zur selben Zeit wie Italien zum Alltag zurückkehren können und Deutschland, sowie mindestens eines der Transit-Länder Österreich oder Schweiz, von Italien als "sichere Herkunftsländer" anerkannt werden, für die keine Isolations-Bestimmungen mehr gelten. Falls dieses Vertrauen nicht besteht, dürfte die Teilnahme an einem Granfondo in Italien für deutsche Starter heuer wohl kaum noch möglich sein – oder frühestens im Herbst.

Nach Einschätzung von mgf werden in Italien größere Veranstaltungen wohl früher zulässig sein, als die Beschränkungen für Einreisende aufgehoben werden. Denn große Feste und Veranstaltungen spielen in Italien für die Gesellschaft eine viel wichtigere Rolle als bei uns. Wenn wieder gemeinsam gefeiert werden darf, würde das eine Rückkehr zur Normalität signalisieren. Nach Abwägung von Risiko und Nutzen wird das Veranstaltungsverbot daher sicher früher gelockert.

 

Aktuelle Situation im Granfondo-Kalender

Zuletzt wurden alle für März und fast alle für April geplanten Granfondos entweder abgesagt oder verschoben. Falls die obigen Überlegungen zutreffen sollten, würden für Granfondos im Mai und Juni, vieleicht auch im Juli, noch Beschränkungen gelten. Bei diesem Szenario wären bis zu 80% aller Granfondos betroffen.

Einige Veranstalter gehen offenbar von dem Juli-Szenario aus, denn die meisten Verschiebungen erfolgten – sofern bereits ein neues Datum genannt wurde – auf Ende September bis Mitte Oktober. Wie im Beitrag "Coronavirus stoppt Granfondos" dargestellt, wird die Konzentration von zu vielen Veranstaltungen auf zu wenige Wochenenden allen in diesen Wochen stattfindenden Granfondos eher schaden als nutzen.

Denn inzwischen sind alle Wochenenden von Anfang September bis Mitte Oktober vielfach belegt, an jedem dieser Wochenenden sollen nach derzeitigem Stand von www.cyclocalendar.com zwischen 6 und 10 Granfondos stattfinden. Verschiebungen in den Juni gab es zwar auch ein paar, aber dieser traditionell stärkste Granfondo-Monat ist vermutlich selbst gefährdet. Ob Veranstaltungen dann wieder zulässig sind, bleibt abzuwarten. Nur im Juli ist der Rest-Kalender noch nicht überfüllt. 20 Granfondos wurden inzwischen definitiv abgesagt, bei weitern über 20 für April und Mai geplanten Granfondos steht eine Entscheidung noch aus.

Granfondos mit nennenswerter internationaler Beteiligung werden wohl bis in den Herbst zwangsweise auf die ausländischen Starter verzichten müssen. Und nur wenige Veranstaltungen werden das mit italienischen Startern kompensieren können. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Maratona dles Dolomites, die sicher auch 9.000 italienische Teilnehmer mobilisieren könnte. Im Fall einer Verschiebung wäre allerdings das Zeitfenster für den größten Alpen-Marathon noch enger als bei den anderen Granfondos (aufgrund des im Herbst unsicheren Bergwetters).

Statt mit viel Aufwand eine schwach besetzte Not-Ausgabe zu organisieren, bei der wohl mehr Frust als Profit hängen bleibt, dürfte für viele Veranstalter eine Absage 2020 wohl die bessere Lösung sein. Dann könnten sich Organisatoren und Helfer heuer um wichtigere Dinge kümmern und 2021 mit neuer Energie wieder richtig loslegen.

Andererseits darf man nicht vergessen, dass eine Reihe von Dienstleistern von den Sportveranstaltungen lebt. Zwar sind die meisten Granfondo-Helfer sicherlich nur im Nebenjob am Wochenende tätig. Aber für die festen Mitarbeiter der Dienstleister wird es überlebenswichtig sein, dass heuer noch soviele Granfondos stattfinden wie nur möglich – auch wenn die Kapazitäten der Dienstleister bei einem dicht gepackten Kalender sicher an die Grenzen stoßen werden.

Weil in Italien Improvisationstalent und Flexibilität schon immer gefordert und gelebt wurden und dieses Land den Radsport immer noch wie kaum ein anders liebt, kann man sicher sein: Sobald Granfondos wieder zulässig sind, werden auch wieder viele stattfinden – soviele, wie die italienischen Ciclisti fahren und verkraften können.

Und vermutlich wird mancher jetzt nur verschobene Granfondo später doch noch abgesagt – so wie dies der Gran Fondo Firenze De Rosa, der zunächst vom 19.04. auf 27.09. verschoben wurde, inzwischen schon getan hat. Das wird sich alles relativ kurzfristig regeln. Nur ob Ausländer heuer bei Granfondos noch dabei sein können, erscheint ungewiss...

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Heute wurden in Italien die meisten Flaggen auf Halbmast gesetzt, um zwölf Uhr Mittags wurde landesweit eine Schweigeminute zum Gedenken an die Corona-Opfer eingelegt. Der Trauertag gibt aber auch Anlass zur Hoffnung: Die Zuwachszahlen haben sich in den letzten Tagen abgeschwächt, ein Ende der Krise scheint in Sicht.
[Bild: juliacasado1, pixabay.com, modifiziert]

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Das alles dauert wohl noch etwas länger... (Nachtrag 18.04.20)

Die Ausgangssperre in Italien wurde am 10. April nochmals verlängert bis vorerst 3. Mai. Seit 14. April durften zwar ausgewählte Betriebe und Geschäfte unter Auflagen wieder öffnen, die meisten Unternehmen müssen noch auf die Wiederaufnahme der Produktion warten. Die "Phase 2" soll schrittweise ab dem 3. Mai starten.

Wann in Italien wieder Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern zulässig sind, ist derzeit völlig unklar. Die Regierung fährt in Sachen Corona weiter einen sehr harten, vorsichtigen Kurs. Aber der Verlauf der Infektionskurve gibt ihr Recht – so weit wie Italien ist kein anderes Land in Europa [diese Einschätzung war leider etwas verfrüht, siehe Nachtrag 21.05.20]. Bei den weniger restriktiven Maßnahmen in Deutschland könnte es dagegen länger dauern, bis man als Deutscher im Ausland nicht mehr als Risiko angesehen wird...

Als Konsequenz der jüngsten Entwicklung wurden u.a. die beiden größten Granfondos in Italien, die Maratona dles Dolomites und die Nove Colli inzwischen abgesagt. Beide Veranstaltungen buchen die Anmeldungen von 2020 auf 2021 um. Das einzige was man noch tun muss, ist die Anmeldung später nochmals bestätigen. Als Dank für dieses "Geschenk" kann und sollte man überlegen, eine angemessene Summe an italienische Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden.

Die ASD Fausto Coppi, Organisator des Granfondo Nove Colli, spendete 5000 Euro für Grundbedürfnisse der weniger wohlhabende Familien von Cesenatico – und lädt alle Radfahrer, die Gutes tun wollen, auf ihrer Website ein, ebenfalls zu spenden.

Die Maratona dles Dolomites (Website derzeit praktisch inaktiv), unterstützte in der Vergangenheit folgende italienische Organisationen:

Insieme si può
Bimbingamba
Missionsgruppe Meran

Auch bei den wenigen bis incl. Juli geplanten Granfondos, die noch nicht verschoben wurden, kann man sicher annehmen, dass sie nicht zum Plantermin stattfinden werden. Im Ferienmonat August ruht in Italien die Granfondo-Szene, aber u.a. der Ötztaler Radmarathon (geplant 30.08.) wurde inzwischen abgesagt.

Inzwischen erscheint leider auch eher unsicher, ob die im September und Oktober geplanten (und teilweise dorthin verschobenen) Granfondos stattfinden können. Und ob daran Ausländer teilnehmen dürfen, ist noch unsicherer (siehe links). Es bleibt nur die Hoffnung, dass die Rückkehr zur Normalität irgendwann doch schneller voranschreitet, als es in letzten Wochen der Fall war...

 

Covid-19 gefährlicher als gedacht? (Nachtrag 19.04.20)

Mitterweile gibt es auch immer mehr Berichte, die darauf hindeuten, dass Covid-19 vielleicht doch nicht so harmlos wie eine "normale Grippe" ist, wie viele Mediziner bisher behaupteten. Südtirol-Online berichtet, dass laut Uni-Klinik Innsbruck mehrere Covid-19-Patienten, die nicht stationär behandelt werden mussten, sondern sich daheim auskurierten und als klinisch gesund galten, irreversibele Schäden an der Lunge davon getragen haben. Diese Fälle betrafen Taucher, aber "auch in anderen Sportarten könnten Leistungsverluste durch Spätfolgen auftreten."

Zudem gibt es auch immer wieder Berichte, dass auch jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen schwer an Covid-19 erkranken. Offenbar waren diverse Annahmen, mit denen die Medizin bisher gearbeitet hat, falsch. Angesichts der unsicheren Faktenlage sollte man als Ausdauersportler, der auf eine voll funktionsfähige Lunge angewiesen ist, versuchen, möglichst jedes Risiko zu vermeiden und sich nicht anstecken zu lassen.

Dies ist bei dem Verhalten, das viele Mitbürger hierzulande an den Tag legen, leider leichter gesagt als getan. Weil es in Deutschland, anders als in Italien und Österreich, keine Mundschutzpflicht gibt, ist das Risiko, infiziert zu werden, hierzulande jetzt vielleicht schon größer als im Süden.

Denn es gibt auch Berichte, nach denen der Anteil der Infizierten in der Bevölkerung manchernorts sehr viel höher ist, als die offiziellen Zahlen ausweisen. Bei einem großflächigen Test in St. Ulrich (Grödnertal), hatten knapp 49 Prozent bereits Antikörper gegen Covid-19, viele hatten aber bisher keinerlei Symptome bemerkt. Vermutlich ist das Virus auch hierzulande schon sehr viel weiter verbreitet, als die offiziellen Zahlen suggerieren.

Also passt auf euch auf, haltet Abstand und bleibt gesund!

 

 

Warten auf den Neuanfang

In der aktuellen Situation bleibt nur Abwarten übrig. Solange nicht sicher ist, wann die Beschränkungen für Ausländer aufgehoben werden, müssen geplante Anmeldungen zurückgestellt werden. Wer sich bereits zu Veranstaltungen angemeldet hat, muss entscheiden, ob er eventuell auf 2021 umbucht, siehe Beitrag "Coronavirus stoppt Granfondos". Oder ob er – so wie es mgf für sich entschieden hat – bereits bezahlte Teilnahme-Gebühren notfalls als Spende abschreibt.

Wer italienisch flexibel ist, kann sich nach Aufhebung der internationalen Beschränkungen vielleicht doch noch kurzfristig für einen Granfondo anmelden. Wer immer alles im Detail vorausplanen will, kann das nur für das nächste Jahr tun. Schön wäre es, wenn schnell wieder viele Radsportler aus dem Ausland den Weg nach Itailen finden – egal ob zu einem Granfondo, einem Trainingslager oder einer Transalp.

Das würde das beitragen, dem Tourismus und dem angeschlagenen Land wieder ein wenig auf die Beine zu helfen. Auch wenn für viele von uns die Zukunft vermutlich etwas unsicher erscheint, wäre es fatal, wenn sich jeder nur noch auf die nötigsten Ausgaben beschränkt. Stattdessen sollten wir alle den uns individuell möglichen Beitrag leisten, damit hierzulande und in Europa die Talsohle schneller überwunden wird.

Und was kann schöner sein, als diesen Beitrag mit einem neuen Rad – natürlich mit möglichst hohem Anteil aus europäischer Fertigung! – oder mit einem Radurlaub in bella Italia zu leisten?! Also verbinden wir das Nützliche mit dem Schönen, kurbeln wir die europäische Ökonomie und das öffentliche Leben wieder an und haben wir Spaß dabei!

 

Offene Grenzen in Sicht (Nachtrag 21.05.20)

Mittlerweile ist Europa wieder ein Stück weit zum normalen Leben zurückgekehrt, auch wenn uns dabei Auflagen wie Mindestabstand und Maskentragen sicher noch lange begleiten werden. Und inzwischen ist auch schon eine Öffnung der Grenzen in Sicht: ab Anfang Juni kann man auch ohne wichtigen Grund wieder die Grenzen zu Österreich und Schweiz überqueren. Ab Mitte Juni soll die Reise-Warnung der Bundesregierung für europäische Länder entfallen. Nur Österreich ziert sich noch etwas mit der Öffnung der Grenze zu Italien – obwohl die Autonome Provinz Südtirol seit Tagen immer wieder die Neu-Infektionszahl Null meldet. Vielleicht spielt dabei ja die Überlegung eine Rolle, dass die "Piefkes" mehr Umsatz bringen, wenn sie nicht noch weiter in den Süden fahren können...

Klar ist: Südtirol ist innerhalb Italiens eine Ausnahme. Obwohl Italien als erstes Land in Europa großflächig betroffen war und früh rigorose Maßnahmen verordnet hat, die teils weit über die Auflagen in Österreich und Deutschland hinausgingen, ist die Infektionskurve am Ende nicht günstiger verlaufen. Österreich und die Schweiz hatten zwischendurch zwar einen steileren Anstieg, haben aber auch schneller "die Kurve gekriegt". Beeindruckend: In Österreich flachte die Kurve erstaunlich schnell ab, offenbar war man dort viel disziplinierter als in Deutschland und der Schweiz:

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Möglicherweise zeigt sich im Kurvenverlauf die traditionell vorhandene Neigung der Italiener, den Staat und seine Vorschriften nicht ganz so ernst zu nehmen (was auch bei uns langsam zuzunehmen scheint). Bei strikter Einhaltung der schärferen Quarantäne-Maßnahmen hätte die italienische Kurve, die zum Zeitpunkt des landesweiten "Lockdowns" nicht außergewöhnlich steil war, eigentlich viel schneller abflachen müssen. Stattdessen wurde Italien von den anderen Ländern "überholt" und liegt nun beim Kampf gegen Corona sogar etwas zurück. Aber die Kurven werden wohl auch durch die Statistik verfälscht: Meldesysteme und -regeln sind unterschiedlich, Italien hat angeblich die größte Testquote, damit wären auch die offiziellen Infektionszahlen höher. Und mancher Politiker wird sich wünschen, dass die eigene nationale Corona-Statistik gut aussieht...

Lange würde Österreich eine Blockade der Grenze zu Italien jedoch sicher nicht durchhalten können. Wenn deutsche Urlauber mit dem Flugzeug nach Italien reisen dürfen, wird man Bahn- und Autoverkehr wohl nicht ausbremsen können. Schon ab dem 3. Juni sollen wieder Touristen nach Italien kommen können, zumindest über die Flughäfen. Gleichzeitig soll die bisher für Einreisende geltende Pflicht zu einer 14-tägigen Quarantäne entfallen. Die wichtigsten italienischen Urlaubs-Regionen rüsten sich bereits, Südtirol und Veneto haben Kampagnen gestartet, in denen die Sicherheit der Touristen besonders betont wird. Dennoch werden auch die Gäste selbst gefordert sein, ein normaler Urlaub wird das ganz bestimmt nicht.

Während Radfahren in den Alpen in absehbarer Zeit wieder möglich sein wird, ist eine Aufhebung des allgemeinen Veranstaltungsverbots noch nicht in Sicht. Wenn man mehr darüber nachdenkt, macht das auch irgendwie Sinn: Auf Massen-Veranstaltungen kann Italien notfalls verzichten, auf die Einnahmen durch den Tourismus sicher nicht. Und in einem Hotel, Museum oder Strandbad lassen sich Distanz- und Hygiene-Regeln leichter einhalten als bei einem Granfondo – oder gar bei einem Straßenfest auf einer Piazza mit tausend feiernden Südländern...

 

Noch ein paar persönliche Gedanken abseits des Radsports...

Die Ereignisse der letzten Wochen in Italien machen sprachlos und unendlich traurig. Es tut weh und ist beschämend, wie dieses europäische Kernland in seiner schwersten Krise der Nachkriegszeit vom Rest Europas zunächst im Stich gelassen wurde. China, Russland und Cuba haben als erste Ärzte und Klinikpersonal zur Unterstützung geschickt (oder das zumindest angekündigt), Deutschland half leider erst spät, mit der Übernahme von wenigen Intensiv-Patienten. Warum kann Russland militärische Sanitätseinheiten nach Italien entsenden, die Bundeswehr aber nicht? Wäre das nicht eine gute Gelegenheit gewesen, das negative Image von deutschen Uniformträgern in Italien zu verbessern? Indem man solche Chancen vergibt, wird sich die Anti-Europa-Stimmung in Italien sicher nicht verringern...

Wir leben in "postfaktischen" Zeiten, in denen man nur für Ankündigungen schon einen Friedensnobelpreis erhalten kann. Ankündigungen und warme Worte sind für die öffentliche Wahrnehmung und Meinung leider (fast) genauso wichtig wie reale Taten. Zumindest wirken sich warme Worte ohne Taten nicht so negativ aus wie das Fehlen von Worten und Taten. Wieso fanden deutsche Poltiker keine oder kaum Worte, um wenigstens ein bisschen moralischen Beistand zu leisten?

Durch die kritische Entwicklung in Italien scheint immerhin der eine oder andere deutsche Politiker aufgewacht zu sein, so dass die Gefährlichkeit von Covid-19 erkannt wurde und hoffentlich Zustände wie in der Lombardei hierzulande nicht eintreten werden. Wenn Deutschland mit einem blauen Auge davon kommen sollte, haben wir das zum Teil Italien zu verdanken, das von der Corona-Katastrophe leider früher erfasst wurde.

Was jetzt schon klar ist: Der wirtschaftliche Schaden ist europaweit immens, Italien wird sich davon ohne Hilfe nicht erholen können. Um den riesigen Schuldenberg schneller abzubauen, sollten wir verstärkt europäische und italienische Produkte kaufen, wo immer es möglich ist: Mode, Nahrungsmittel, Radsportbekleidung, Rad-Komponenten und viel mehr: es gibt reichlich schöne Gelegenheiten, etwas Geld südlich der Alpen auszugeben. Wer ein komplett in Europa gefertigtes Rad – das gibt es tatsächlich noch! – kauft, tut zudem auch etwas gegen den Klimawandel und hält das Geld in unserem freien Teil der Welt, der leider immer kleiner wird...

Vielleicht trägt diese Krise ja dazu bei, dass wir unseren modernen, globalisierten, wenig nachhaltigen und auch wenig "artgerechten" Lebensstil endlich mal auf seine Sinnhaftigkeit hinterfragen und ändern, so wie dies z.B. ein Gastkommentar bei radsport-news.com für den Bereich des Sports anregt. Vielleicht bewirkt Corona trotz all der negativen Folgen damit ja doch noch etwas Gutes!

 

 

 

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